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Ich bin immer noch am schwärmen wenn ich an unseren letzten Fotowettbewerb denke: Es wurden phantastische Fotos eingereicht, viel mehr gute Arbeiten als es Preise gab. Aber so ist es nunmal, die Jury macht ihre Arbeit und dann stehen 10 Gewinner fest und eine Menge guter Fotos kam nicht mit auf das Siegertreppchen...
Eines von den eingereichten Fotos ist dieses mit dem Titel "Auf und Ab" von Malediction:
(Bild 1)Wie ihr schon mitbekommen konntet, bin ich bei einem Foto ein großer Freund einer durchdachten Blick- und Linienführung. Wenn ich erkennen kann, das sich der Autor vor der Aufnahme Gedanken gemacht hat, wo der Bildschwerpunkt liegen soll, und es dann beim fertigen Produkt auch so funktioniert wie ausgedacht, ist wichtige Grundlage für ein gutes Foto gelegt.
Aber von Vorne:
Beim vorliegendem Foto handelt es sich um eine Architekturaufnahme, die Treppe eines Bankgebäude in Dresden. Architekturfotografie ist kein leichtes Metier, aber mit einem grundlegenden Vorteil: Das Motiv läuft nicht weg! Man kann ganz in Ruhe und mit viel Bedacht die richtige Position aussuchen, verschiedendenste Blickwinkel ausprobieren, das Licht zu unterschiedlichen Zeiten studieren, ein Stativ zu Hilfe nehmen und sein Bild nach allen Regeln der Kunst gestalten. Sich überlegen, wie die Linien laufen sollen, welche Wirkung man damit errreichen will...Das wurde bei diesem Foto auch gemacht.
Die Spirale des Treppengeländes zieht den Blick des Betrachters magisch an, bringt ihn zum exakt plazierten Bildmittelpunkt, der gleichzeitig das Ende der Treppe im scheinbar Unendlichen als auch der Ursprung der Farbkaskade aus bunten Wollfäden ist, der den Blick nach unten rechts zwingt. Der Titel des Werkes und des Fotos wird hier sinnfällig.
Der Betrachter bleibt lange im Bild, es gibt immer wieder etwas zu entdecken: die eisernen verschraubten Geländerstützen, die links noch ganz massiv und gegenständlich wirken und dann immer mehr zu Linien werden, die wie Notenstriche einen Takt vorgeben. Die geschwungenen Metallstreben erscheinen mir wie die Linien eines Notenblattes. Folgerichtig kommt meine Assotiation zu einer dem angepassten Interpretation der bunten Wollfäden: Mit ihrer röhrenartigen Struktur verbinde ich sie mit Posaunen die aus dem Unendlichen kommend, ihren Sound in die Welt pusten...
Gestaltungstechnisch ist hier alles richtig gemacht worden, dann hat der Autor sein Werk noch bearbeitet.
Durch gezielte Überbelichtung wurde die Umgebung und damit der Kontext ausgeblendet, die Treppe aus ihrer Zweckbindung gelöst. Die Wollfäden sind farblich übersteigert, auch sie verlieren ihre konkrete Gegenständlichkeit.
Das führt zu einem Abstraktionsgrad der den Eindruck weg vom Foto und hin zu einer grafischen Arbeit treibt. Die ist schön anzusehen und sehr dekorativ, aber wird vom Betrachter vordergründig nicht mehr als gestaltestes Foto, sondern als Zeichnung oder Gemälde wahrgenommen.
Eine Zeichnung hat keine gestalterische Begrenztheit, in der Phantasiewelt des Abstrakten ist alles möglich. So verliert das Foto durch seine Abstrahierung die Ebene der Realität, in der man in Natura vor dem Werk steht und staunt....
Liebe Grüße
Henry
Hallo Henry,
wirklich wieder gelungen!
Das alles so auf den Punkt zubringen: Respekt! Ich hätte gar nicht gewußt, wo ich hätte anfangen sollen, bei der Besprechung.
Und @ Malediction vielen Dank für dieses tolle Bild, dass Du uns hier zeigst.
Liebe Grüße
Jörg
AHA!!!
Lieber Henry, ich als absoluter Fan dieses Bildes merke, dass ich mich genau dort mit meinen eigenen Ambitionen wiederfinde, die Du so trefflich über die Abstraktheit beschreibst. Ich selbst betrachte ein Foto- auch ein Abstraktes immer als ein Foto, weils aus der Kamera kommt mit Überraschung, Erstaunen und/oder mit Neugier. Schön, auch mal die offenen Worte eines Betrachters lesen zu dürfen, der ein Foto anders definiert. Dankeschön, Deine Betrachtung regt meine grauen Zellen an und bereichert mich auf jeden Fall. LG Doro
Hi Henry !
In diesem Fall muss ich mal sagen ''Hut ab'' !
Eine tolle Analyse meines persönlichen Favoriten des Wettbewerbs.
Meine Gedanken beim Lesen Deiner ''Kritik'':
Du spricht genau das aus, was ich beim ersten Betrachten des Bildes gefühlt habe, ohne es in wahre Worte fassen zu können. Ich glaube, von Fotografieren (oder Knipsen) eine kleine Ahnung zu haben - aber Kritik zu üben, da tu ich mir schwer - erstens weil ich mir eine solche meist nicht anmasse und zweitens weil ich meist emotional handle (gefallen oder nicht gefallen). Aber so ein tolles Bild so toll ''zerlegt'' zu bekommen, das find ich spitze und ich hoffe, ich hab' wieder einmal ein bischen dazugelernt 🙂
liebe Grüsse, dieter
Hallo Henry,
danke Dir für die ausführliche Offenlegung Deiner Gedanken. Schon erstaunlich, wie genau Du meine Ideen beim Aufnehmen und Nachbearbeiten des Bildes wiedergegeben hast.
Ich muss zugeben, dass ich wirklich alles so geplant hatte. Die Linienführung, der Schnitt, die überbelichtete Nachbearbeitung.
Ich habe das Bild übrigens mit +2 EV aufgenommen und dann im Nachhinein noch zusätzlich aufgehellt, weil mir die Treppe in Ihrer "Farbreinheit" nicht so gut gefiel.
So und jetzt bekommst Du noch eine Mail mit dem Flyer für das Usertreffen, da Du gestern noch nicht in der Mailingliste standest.
Würd mich freuen, wenn wir uns in Dresden sehen.
Viele Grüße, Frederik.
P.S.: Und ich bin auch schon auf die weiteren Bilder gespannt, die bereits eingereicht wurden.
Vielen Dank,
für die fundierte Bildanalyse, aber auch für dieses grandiose Bild!
VG GFS